Begleiterscheinungen – Die Fankurve vorm Kreissaal

Die Ruhe vor dem Sturm

Frühdienst. Ich betrete das Klinikgelände um kurz vor sechs. Es dämmert. Vom kleinen Fuchs, der manchmal im Morgengrauen am Brunnen vor dem Gebäude trinkt, ist nichts zu sehen. Aber die Vögel machen schon Alarm. Im Gebäude ist es unglaublich still. Schon bald werden sich die Schwangeren zu ihren Kontrollen einfinden und die gynäkologischen „Fälle“ in der Ambulanz. Aber jetzt ist es so ruhig, dass meine Schritte durch das Gebäude hallen. Ich gehe in die Umkleide und ziehe mich um. Dann bin ich gerüstet für meinen Dienst, der gleich beginnt.

Katerstimmung

Durch das Treppenhaus gelange ich in den zweiten Stock. Hier befindet sich der Kreißsaal. Ich öffne die Tür zum Vorraum und… es zeigt sich ein Bild der Verwüstung: Coladosen, Kaffeebecher, lose Seiten von Zeitungen liegen auf dem Boden neben verklebten Pizzadeckeln und einigen paar Schuhen. Die dazugehörigen Füße strecken sich mir entgegen. Denn auf den Sitzen vor dem Kreißsaal lagern ungefähr acht Erwachsene. Auch zwei Kinder sind dabei. Eins liegt im Kinderwagen, ein größeres schläft im Arm einer Frau. Die Luft ist verbraucht. Ganz klar: Die ganze Gruppe hat hier die Nacht verbracht.
Als ich an ihnen vorbei gehe, kommt Leben in die Truppe. Ich soll doch mal schauen wie es Frau B. geht. Und dann bitte Bescheid sagen. Oder, ob sie nicht auch gleich mit rein kommen könnten? Werde ich gefragt und schon drängt ein Teil von ihnen zur Tür.
„Nein, ich schaue nach und melde mich wieder.“ Sage ich, bemüht um Höflichkeit.
Ich dränge mich hindurch und schließe die Tür hinter mir.
„Sind die immer noch alle da draußen?“ begrüßt mich meine Kollegin, die Augen verdrehend.

Wieviele Begleitpersonen sind erlaubt?

O.K. – ein bis zwei Begleitpersonen im Kreißsaal sind bei uns ja standard. Das sind meistens der Partner, manchmal eine Freundin, Schwester, Mutter oder Schwiegermutter. Manchmal auch in beliebiger Kombination. Das funktioniert meistens gut. Wenn aber mehr Menschen dabei sind, wird es in der Regel sehr unruhig. Vor allem, wenn vereinbart wurde, sich zwischendurch abzulösen. Dann geht es zu wie in der U-Bahn: Tür auf, Tür zu, will noch jemand rein, nein, ja, warte, ich komm noch mit, ich geh mal grad eine rauchen, ich hol mir nen Kaffee… Katastrophal! Die Frauen, die sich ja unter der Geburt im Ausnahmezustand befinden, wollen sich auf eine Bezugsperson einstellen und nicht alle drei Minuten auf eine neue. Es entsteht Unruhe, die Intimsphäre  wird empfindlich gestört. Außerdem wird der Fokus von der Schwangeren genommen. Manchmal unterhalten sich die Begleiter dann angeregt, während die Frau, weitgehend unbeachtet, ihre Wehenarbeit macht. In seltenen Fällen habe ich gute Erfahrungen mit einem mehrköpfigen Betreuungsteam gemacht. Meistens ist es furchtbar. Wie viele Begleitpersonen erlaubt sind, variiert von Klinik zu Klinik. Meistens sind es ein bis zwei. Mit Doula, Partner und Dolmetscher können es dann auch mal drei sein. Es gibt immer auch einen Ermessensspielraum des Personals, wenn die Sache gut läuft.

Die Fankurve

Nun zur„Fankurve“ vor dem Kreissaal: Auch diese Variante finde ich ungünstig. Wir Hebammen können unsere Frauen nicht mehr gut betreuen, wenn es ständig an der Tür klingelt und wir wartenden Angehörigen erklären müssen, dass es sicher noch Stunden dauern wird. Die Schwangeren fühlen sich unter Druck gesetzt. Und die Wartenden verbringen unter Umständen eine ganze schlaflose Nacht auf, für diesen Zweck, eher ungeeigneten Stühlen.
Noch schlimmer ist es, wenn die Wartenden jede vom Personal ausgelöste Türöffnung dazu nutzen, in den Kreißsaal zu huschen. Sie landen dann auch gerne mal im völlig falschen Zimmer und stören die Intimsphäre der jeweiligen fremden Frau empfindlich.
Ich hatte schon schlimme Auseinandersetzung mit Angehörigen, die das partout nicht einsehen wollten, wenn ich sie bat, vor der Tür Platz zu nehmen.
Wir haben ja volles Verständnis für die Aufregung der Familien, aber das geht einfach zu weit.

Was will die Mutter?

In diesem Fall war es übrigens so, dass meine Kollegin die ganze Verwandtschaft vor die Tür gesetzt hatte, nachdem die junge Frau ihr anvertraut hatte, dass sie bitte nur ihre Mutter dabei haben wolle. Ja, da stellen wir uns natürlich schützend vor die Frau und berufen uns auf die „Ein-bis-zwei-Personen-Regel“.

Das schlimme Ende…

Es heißt: „Es bedarf ein Dorf, um ein Kind groß zu ziehen“. Aber muss denn das ganze Dorf schon mit in den Kreißsaal? Das Ende vom Lied geht dann meist so:
Sobald das Baby geboren ist, rennt die Begleitperson umgehend und Türen knallend heraus, um die frohe Botschaft den Wartenden mitzuteilen. Die frisch gebackene Mutter wird vollkommen alleine gelassen. Sie hat keinen, der sich mit ihr freut, oder ihr mal sagt, wie toll sie das gemacht hat. Und das, wo doch eigentlich so viele Menschen für sie da sind.
Draussen beglückwünschen sich dann alle und feiern ein Fest. Noch schlimmer ist, wenn das Baby gleich mit raus genommen wird. Dann bleibt die Mutter völlig alleine zurück.
Variante zwei geht so:
Die Angehörigen stürmen sofort den Kreißsaal, wo die junge Frau noch weitestgehend unbekleidet und mit Blut an den Beinen, sowie heraushängender Nabelschnur, gerade erst ihr Baby in die Arme schließt. Die Geburt ist noch gar nicht beendet, weil die Plazenta noch geboren werden muss. Die Frau weiß nicht, ob sie jetzt ihr Kind bewundern, die Glückwünsche entgegen nehmen, ihre Intimsphäre schützen, oder die Geburt zu Ende bringen soll. Was für ein Chaos!

Dabei denke ich immer: Es ist doch egal, ob die Wartenden fünf Minuten früher oder später von der Geburt erfahren. Es wird doch die Freude nicht schmälern.
Ein Telefonanruf macht sich als Alternative auch gut. Dann kann das neugeborene Familienmitglied erst mal im kleinen, intimen Kreis begrüßt werden. Später, wenn man sich etwas berappelt hat, und vielleicht auch schon duschen war, nimmt man dann von der ausgeschlafenen, ebenfalls geduschten Verwandtschaft entspannt und gerne die Glückwünsche entgegen.

Immer die anderen

Und wenn ihr jetzt denkt, dass ich von der „typisch ausländischen Großfamilie“ geschrieben habe, dann liegt ihr nur bedingt richtig. Auch bei deutschen Familien erleben wir den beschriebenen Zustand oft genug. Also schnell die Vorurteile wieder zurück in die Schublade packen!

Wünsch Dir was

Weisst du schon, wer dich zur Geburt begleitet? Hast du besprochen, wer, wann informiert wird?
Besprich doch lieber mit deiner Familie, dass sie in der Zeit doll an euch denkt und Essen kocht, Kuchen backt, oder deine Wohnung aufräumt. Dann wird die ganze gut gemeinte Energie positiv genutzt und du kannst dich voll und ganz auf die Geburt konzentrieren.
Ach: Und sag ihnen, wie ungemütlich der Vorraum vom Kreissaal ist und dass man da nicht mal rauchen darf!

 

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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14 Kommentare
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    Mama Schlaflos sagte:

    Ich habe es auch immer so mit meiner Familie vereinbart: wir melden uns sobald das Kind da ist. Bitte keine Anrufe “und, geht es schon los” in den Tag vor dem errechneten Termin und auch keine spontanen Besuche im Krankenhaus – schon gar nicht vor oder im Kreißsaal!

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    Boris Czizikowski sagte:

    Ein kleiner Trick ist auch, den ET von vornherein ein bisschen nach hinten verlegt anzukündigen. 2-3 Wochen tun da Wunder. Man darf sich später nur nicht verplappern 😉 Besser ist natürlich, wenn Freunde und Verwandte den gesunden Menschenverstand einschalten und rücksichtsvoll den Wunsch der Eltern respektieren. 😉

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    Sunrise sagte:

    Ich habe den ET beim 3. Kind auch 2 Wochen nach hinten gemogelt… Aber nur damit mich meine nervige Schwiegermutter nicht jeden Tag anruft. Und als das Kindlein geboren war, haben wir erst 18 Std später Bescheid gegeben, die Zeit vorher gehörte nur uns und unseren Kindern.
    Ich wäre bei Besuch vor der KRS. Tür ausgeflippt!

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    Lissy sagte:

    Ich kann deinen Beitrag genau so unterschreiben!
    Ich mache eine Ausbildung zur Hebamme und auch in meinen Praktika gab es damit oft Ärger!

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    anna sagte:

    oh ja…kann ich unterschreiben. bei mir wollte meine schon damals ex-schwiegermutter in spe unbedingt mit in den kreißsaa. ich hasse und hasste diese frau schon damals. sie saß dann vor der tür und wollte da auch partout nicht weg und als mein sohn dann da war kam sie rein bevor ich überhaupt abgedeckt und meinen kleinen richtig angeschaut habe…wie gut das ich diese person endlich los bin.

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    Uli sagte:

    Es kann auch anders laufen, es ist mitten in der Nacht und du erreichst…..richtig niemanden! Das machte mich erstmal nervös aber ich hatte eine so tolle Hebamme!!! Und bald kam dann ja auch noch mein Händedrückserviceteam in Form meines Freundes und Cousine so das ich mich gut aufgehoben fühlte.

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    Becci B! sagte:

    Ich habe eigentlich gar nicht so viel darüber nachdenken müssen, wer bei mir mit in den Kreißsaal kommt. Es haben sich genau die Menschen “angemeldet”, die so oder so in meinen Gedanken waren. Meine Mama überlegte auch erst und fragte an. Allerdings weiß ich genau, dass meine Mama für mich keine Unterstützung wäre. Sie hat eben so eine Art an sich, mit der man wirklich nicht immer klar kommt.
    Sie entschied dann aber von alleine, dass sie doch nicht mitkommen möchte.
    Meine Schwester, welche 5 Kinder hat und wo bei jeder Geburt die Schwiegermutti mit dabei war, hat sich angemeldet. Ich wäre sehr froh, wenn sie es schaffen könnte, bei der Geburt dabei zu sein. Allerdings wohnt sie sehr weit weg und da gestaltet sich das spontane rum kommen dann doch eher als schwierig, Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. 🙂

    Bis jetzt wird es wohl eine meiner engsten Freundinnen Sein, die dabei sein wird. Zumal es für sie auch sehr spannend ist, da sie dieses Jahr angefangen hat, Medizin zu studieren.
    Sonst gibt es da noch meine liebste Freundin, die sich schon angekündigt hat mitzukommen, als wir uns dazu entschieden hatten, Eltern werden zu wollen.

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    kiddelfee sagte:

    Ich habe von Anfang an festgelegt, dass wir uns melden, wenn das Kindelein da ist und dass nur abgesegneter Besuch kommt – ab Tag 2 im Krankenhaus mit maximal 3 Mann. Der Rest wurde nach der Entlassung per Mail informiert – da waren zwar einige angeschnipst, aber wir hatten unsere Ruhe.
    Diverse Verwandte haben es natürlich nicht auf die Reihe gekriegt und jeden verflixten Tag angerufen, ob denn nicht endlich mal…andere wollten infomiert werden, wenn :

    – ich Wehen habe
    – ich ins Krankenhaus fahre
    – ich Presswehen habe
    – das Kind da ist
    – sie zu Besuch kommen dürfen

    5 Anrufe an 6 Personen war mir zu doof….

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    Inga sagte:

    Was für ein Horrorszenario! Bei und hier (im etwas einsamen Norden Finnlands) hat zu der gesamten Station niemand Zutritt außer Frau mit Begleitperson, ziemlich weitläufig abgeriegelt das Ganze. Und auch auf der Wochenbettstation hat nir der Vater und ältere Geschwister Besuchsrecht. Sehr angenehme Vorstellung, finde ich…

    Übrigens: Toller Block und besonders beruhigend, wenn man auf anderen Seiten auf seltsame Texte/ Bemerkungen gestoßen ist 😉 Obwohl ich nicht mehr viel lese- in einer Wocje ist ET und ich werde irgendwie immer ruhiger (war eh nie sehr verunsichert) 🙂 Ich bin gespannt, wie es wird.

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    Desiree Tietz sagte:

    Wir hatten schon Probleme mit zwei Personen. Meine ersten zwei Geburten waren ohne Probleme mein Mann und meine Mutter durften in der darmaligen Klinik mit die Geburten waren toll und ich fühlte mich sicher und konnte mich super auf die Geburt einlassen. Dann kam ein Umzug und es kündigte sich Kind 3 an. Bei der Kreissaal Führung hieß es erst kein Problem zwei dürfen mit. Doch als wir dann mit Wehen dort ankamen hieß es plötzlich nur einer das ging für mich gar nicht, es war ein Schock. Ich habe mich dann gegen ärztlichen Rat entlassen lassen und wir sind in eine andere Klinik 40 min. weg gefahren, da war es dann kein Problem. Aber ich war Stock sauer. Es hatte doch zweimal super geklappt und ich fühlte mich immer sicher und plötzlich sollte es nicht gehen, mir wäre es nicht möglich gewesen mich so entspannt auf die Geburt einzulassen wie bei den ersten zwei. Und hatten vorm Kreissaal keine Fankurve sitzen.
    LG Desiree

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  11. Avatar
    Jiyan Dijle sagte:

    Ich habe bei meinen letzten beiden Entbindungen, meiner Familie und Verwandtschaft erst NACH der Geburt Bescheid gegeben. Bis dahin wusste es nur meine Schwester, da sie auf meine größten aufpassen musste.. Begleitperson war mein Ehemann und es war auch gut so!

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  12. Avatar
    Apunkt sagte:

    Ich bekomme direkt Brechreiz bei dem Text. Ich denke die Tendenz wird mal zur Security gehen, die den Kreißsaal absichert. Als selbst Betroffene, kann ich unterschreiben, dass deutsche Familien sich da in nichts nachstehen. Es liegt an dem Familientyp, die Herkunft ist hier überhaupt nicht relevant. Ich bin meiner Hebamme noch heute dankbar, dass sie mich vor dieser schrecklichen Familie beschützt hat. Sonst hätte ich mich nach der Geburt gleich zur Psychotherapie anmelden können. Viel Kraft an alle die solch eine niederträchtige Erfahrung machen mussten.

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