Elternzeit trotz Selbstständigkeit? Gerade deshalb! – Ein Elternzeitbericht

Die Serie Elternzeitberichte von Vätern geht weiter. Letzte Woche habe ich dafür in einem kleinen Aufruf nach Vätern gesucht, die über ihre Erfahrungen in der Elternzeit berichten. Es geht um Vereinbarkeit, Rollenfindung und darum, wie Väter diese Pause vom Job – im Tausch mit der intensiven Familienzeit inklusive der dazugehörigen Care- & Haushaltsarbeit – erlebt haben. Es haben sich bereits einige Männer bei mir gemeldet und fleißig geschrieben. Ab sofort stelle ich sie euch hier im Blog nach und nach vor.

Einer von ihnen ist Oliver Weidlich. Oliver (auf Twitter: @Mehrbettzimmer) ist Medienpädagoge und Medienmacher aus Leipzig. Das Thema Vereinbarkeit beschäftigt ihn und er wundert sich immer wieder zu hören und zu lesen, dass sich Selbstständigkeit und Elternzeit angeblich nicht vereinbaren lassen. Daher fragt er sich auch: „Warum treffe ich an Wickeltischen in der Innenstadt nur Frauen? Was hindert die Männer an der Elternzeit?“ Den Bericht zu seiner 2×4-monatigen Elternzeit (in der er sich auch aktuell noch befindet) mit einem Plädoyer für Elternzeit bei Selbstständigkeit hat er mir wie folgt geschickt:

Oliver – „Irgendwas mit Medien“/selbstständig – Papa

„Elternzeit lässt sich mit meinem Job nicht vereinbaren“ oder „Ich bin Selbstständig, da ist Elternzeit nicht drin“ sind Sätze, welche ich immer wieder von Vätern lese und höre. Ich möchte mit der Mär von der Unvereinbarkeit aufräumen. Wenn Mann nicht zu den weltweit führenden Hirnchirurgen zählt, ist man auf Arbeit definitiv auch mal eine Zeit lang entbehrlich. Erst recht, wenn man Selbstständig ist.

Ich arbeite für gewöhnlich sehr gern und sehr viel, bin selbstständig und oft unterwegs. Und wie viele Selbstständige habe ich mir die Frage gestellt, ob ich mich überhaupt längere Zeit aus der Arbeitswelt herausnehmen kann oder ob mir dadurch anschließende Projekte und Aufträge abhanden kommen. Ich bin im Bereich Medienpädagogik und -produktion tätig, arbeite als Dozent, organisiere Veranstaltungen und kümmere mich um die Herstellung von Video- und Multimediaproduktionen. Nicht selten richten Kunden kurzfristige Anfragen an mich.

Vereinbarkeit

Das Zauberwort hieß für mich Elterngeld plus, also eine Art Teilzeit-Elternzeit. Zum einen, weil es für Selbstständige bei regulärem Elterngeldbezug zu einem Problem wird, wenn eine Rechnung erst im Folgemonat oder später bezahlt wird, da dieses Einkommen vom Elterngeld abgezogen wird. Zum anderen hatte ich so die Möglichkeit ein paar Stunden pro Woche zu arbeiten und mich um die allerwichtigsten Dinge im Büro zu kümmern.
Direkt nach der Geburt blieb ich vier Monate zuhause bei meiner Frau und unserer Tochter. Einmal pro Woche fuhr ich für ein paar Stunden ins Büro. So unorganisiert Babys sind, sie treten meist mit recht langer Vorlaufzeit in das Leben einer Familie. Und diese Zeit sollte man nutzen. Ich habe meine wichtigsten Kunden vorab informiert, ab wann ich mich zurücknehmen werde und langfristige Projekte und Aufträge entsprechend geplant. Alle mein Kunden freuten sich für mich und richteten sich auf etwas verlängerte Redaktionszeiten ein. Für die ersten zwei Monate habe ich mir zusätzlich Unterstützung geholt, damit ich keine Zeit mit regelmäßigen (Pflicht-) Tätigkeiten wie Abrechnungen verschwenden musste.

Da meine Frau nach einem Jahr gern wieder selbst arbeiten wollte und uns klar war, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch keinen Betreuungsplatz haben werden, haben wir uns dafür entschieden, die zusätzlichen vier Monate des Partnerschaftsbonus so aufzuteilen, dass ich unsere Tochter von ihrem ersten Geburtstag an von Montag bis Donnerstag Mittag betreue und die restlichen anderthalb Tage im Büro bin. Auch die Krippeneingewöhnung ab August werde ich übernehmen.

eine Frage der Organisation

Ich will nicht verschweigen, dass Elternzeit auch anstrengend ist. Fast jeden Abend sitze ich noch mindestens eine Stunde am Laptop und beantworte Mails oder kümmere mich um Papierkram, damit ich mich an meinen anderthalb Bürotagen pro Woche auf wirklich wichtige Dinge konzentrieren kann. Wichtig ist mir, die Zeit klar zu trennen. Ich versuche keine Mails zu beantworten, wenn ich mit meiner Tochter spiele. Man muss lernen abschalten zu können. Kindern lehren einen Gelassenheit – die Welt geht gar nicht so schnell unter, wie man im Berufsalltag vielleicht glauben mag.
Ich mag besonders die Zeit, wenn ich mit meiner Tochter einkaufen gehe und gestresste Manager telefonierend an uns vorbei hetzen, um vor dem nächsten Termin noch schnell etwas zu essen. Wir hingegen genießen unsere Auszeit zu zweit, senden Mama Fotos ins Büro, saugen staub, kochen, fahren zum Kinderarzt und machen Mittagsschlaf, bei welchem ich gern auch mit liegen bleibe. Und wenn die Zeit mal knapp wird, dann kommt meine Tochter eben mit zum Steuerberater. Dort freut man sich sie zu sehen und ignoriert die Breiflecken auf meiner Hose.

Ich weiß jetzt schon, dass mir die viele arbeitsfreie Zeit mit meiner Tochter fehlen wird. Ich liebe meinen Beruf, aber so toll kann ein Job gar nicht sein, dass er sich mit dem täglich Lachen des eigenen Kindes messen kann.

Selbstständigkeit ist bei weitem kein Hindernis wenn es um Elternzeit geht – der Luxus der freien Zeiteinteilung von Selbstständigen ist perfekt für ein Leben mit Kind! Es ist nur eine Frage der Organisation. Im Grunde genommen gibt es für Selbstständige und Freiberufler doch nur zwei Varianten: Entweder die Geschäfte laufen nicht gut – dann ist das Elterngeld ohnehin ein Segen. Oder die Geschäfte laufen gut. Dann sollte man sich rechtzeitig Unterstützung holen, die einen ausreichend helfen kann. Zudem kann man die Monate der Elternzeit auch in eine umsatzschwächere Jahreszeit packen.

Einstellungssache

Uns Vätern muss klar sein, dass Mütter durch Schwangerschaft und Stillen ohnehin schon einen kaum einholbaren Vorsprung an Bindung zu unseren Kindern haben – daher sollten wir doch so viel Zeit wie nur irgendwie möglich mit unserem Nachwuchs verbringen. Gleichzeitig sollten wir uns auch vergegenwärtigen, was Mütter alles leisten müssen – ohne dass sie sich entscheiden dürfen. Für mich ist es deshalb selbstverständlich gewesen, nach der Geburt nicht nur einen Monat zu Hause zubleiben sondern meine Familie daheim so gut wie möglich zu unterstützen, in dem ich beispielsweise früh um sechs zwei Stunden meine Tochter spazieren trage, damit meine Frau noch ein wenig schlafen kann. Das Büro muss in solchen Momenten einfach warten.

Elternzeit ist eine Einstellungssache. Für mich war immer klar, dass ich mich ebenso wie meine Frau um unser Kind kümmern möchte und an seiner Entwicklung teilhaben will. Ich erwarte nicht, dass jeder Vater mehrere Monate Elternzeit nutzt, jede Familie muss bei dieser Einteilung ihren eigenen Weg finden. Was ich erwarte ist eine ehrliche Einschätzung warum man vielleicht keine oder nur wenig Elternzeit in Anspruch nimmt. „In meinem Job geht das nicht“ oder „Ich bin Selbstständig“ als Begründung stimmen nur sehr selten.

Lieber Oliver, vielen Dank für deinen Beitrag.

Ich finde deine Einstellung grundsätzlich super, frage mich aber, ob ein selbstständiger Gärtner, Maler oder Taxifahrer das auch so machen könnte – oder, ob es nicht doch ein recht privilegierter Blick auf die Elternzeit ist? Trotzdem freue ich mich natürlich sehr, über so ein flammendes Plädoyer und hoffe, dass es Väter in ähnlichen Situationen dazu anspornt, über eine ausgedehntere Elternzeit nachzudenken.
Übrigens, was es mit dem Elterngeld Plus auf sich hat, hat Rechtsanwältin & Bloggerkollegin Smart Mama alias Sandra Runge super erklärt.

Und so geht’s weiter

Ich sammel natürlich weiter Berichte. Und wer noch nicht hat und gerne will, der schickt mir seine Version der Elternzeit für Väter einfach zu.

Und was sagt ihr zu Olivers Elternzeiterfahrung?
Wer von euch hat eine ganz andere Erfahrung gemacht und fand das alles nicht so einfach? Wo hat es vielleicht in der Beziehung etwas verändert? Oder wer hatte mit Rollenklischees zu kämpfen?

Ich freue mich über jede Erfahrung von euch!

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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