Geburtsbericht: Wehenwellenwelt und ein hebammengeleiteter Kreißsaal

Einling, erstes Kind, April 2011
Der baldige Vater möchte die Sicherheit der Klinik, die Mutter in spe wünscht sich maximale Selbstbestimmung. Die Geburtsort-Entscheidung fällt letztlich auf einen hebammengeleiteten Kreißsaal – eine gute Entscheidung, wie ich finde. Vor allem, wenn man bei den ersten Wehen auch noch das Glück hat, von der eigenen Hebamme zu Hause „anbetreut“ zu werden…
Aber ich will nicht schon alles verraten. Wie die Geburt dann verlaufen ist erzählt uns Laura* diese Woche in ihrem Geburtsbericht, wie immer mit kleinen Anmerkungen von mir in lila:

Vorsorgeuntersuchung bei SSW 37+5 – Termin-Countdown läuft

„Du siehst nicht so aus, als würdest Du in den nächsten Tagen Dein Kind gebären. Wahrscheinlich kommt es um den errechneten Termin herum.“ Mit diesen Worten entließ mich meine Hebamme aus der Vorsorgeuntersuchung.

Mhm, also ich finde ja Vermutungen zu „wann kommt das Kind“, oder „wie lange dauert die Geburt“ immer sehr gewagt. Letztendlich weiß man es nie so genau, aber die Frauen verlassen sich immer sehr darauf. Den vermuteten Beginn nach hinten zu schieben, kann allerdings der Ungeduld etwas entgegen wirken. Viel schlimmer wäre es aber, einen früheren Geburtstermin vorherzusagen. Ab dem genannten Datum sitzen die Frauen dann oft auf glühenden Kohlen.

Daraufhin entschloss ich mich, meine Ungeduld abzulegen und die Zeit bis dahin noch mal richtig zu genießen. Ich verabredete mich mit Freunden und kaufte Karten für die Oper.

Blasensprung bei SSW 37+6

Morgens im Café, beim spontanen Frühstück mit zwei Freundinnen, hatte ich ein ungewöhnliches Gefühl in der Unterhose, maß dem jedoch keine Bedeutung bei. Im Nachhinein betrachtet, muss zu diesem Zeitpunkt der Schleimpfropf abgegangen sein.

Anzeichen für den Geburtsbeginn, und was es mit dem Schleimpfropf auf sich hat, habe ich im Artikel: Schatz, das Kind kommt! Nur wann? erklärt.

Abends zu Hause, fühlte ich mich plötzlich mit dem Läuten der 20-Uhr-Nachrichten inkontinent. Da es relativ viel Flüssigkeit war, die stetig aus mir heraus floss, habe ich mich an die Möglichkeit des vorzeitigen Blasensprungs erinnert und sofort die Hebamme angerufen.

Man nennt einen Blasensprung „vorzeitig“, wenn er vor dem Wehenbeginn stattfindet.

Glücklicherweise hatte ich tags zuvor den Rufbereitschaftsvertrag mit ihr abgeschlossenen. Sie wollte um 22 Uhr zu uns nach Hause kommen. Die Zeit bis dahin konnte sich keiner von uns zukünftigen Eltern auf den laufenden Film konzentrieren. Wir waren voller Vorfreude, Aufregung und Ungewissheit, was uns in den kommenden Stunden erwarten würde. Ein bisschen wie Weihnachten und mündliches Examen zusammen.

Hebammenbesuch

Wie angekündigt traf die Hebamme bei uns ein, untersuchte mich und setzte mir noch Akupunkturnadeln.

Nach einem Blasensprung beginnen meistens bald die Wehen. Das sollten sie auch, denn mit dem Blasensprung wird der „Schutzschild“ des Babys gegen Keime durchlässig. Um den Wehenbeginn sanft zu beschleunigen, kann man alternative Behandlungsmethoden, wie z.B. Akkupunktur oder Homöopathie anwenden.

Eine Stunde später verließ sie uns wieder, nicht ohne uns darauf hinzuweisen, dass wir uns am besten schlafen legen sollten.

Das war der beste Tip! Es ist zwar schwierig, wenn man so aufgeregt ist, noch mal ans Schlafen zu denken, aber es ist doch am besten, ausgeruht in die Geburt zu starten.

Falls in der Nacht nichts passieren sollte, müssten wir gut frühstücken und wegen des Infektionsrisikos am Morgen in die Klinik fahren.

Nach einem Blasensprung ist die schützende Eihaut nicht mehr intakt. Es können so, mit der Zeit, Keime zum Kind aufsteigen und es kann zu einer Infektion kommen. Das passiert aber in der Regel nicht sofort, sondern die Wahrscheinlichkeit steigt nach und nach langsam an. Daher sollten, nach einer gewissen Zeit, die Blutwerte der Mutter entsprechend kontrolliert werden.

Und los…

Die Türe fiel ins Schloss. Stille. Wir legten uns ins Bett, doch an Schlafen war nicht zu denken. Die erste Wehe überrollte mich mit einer unvorhergesehenen Kraft. „Wenn das erst der Anfang ist, wie soll ich das überstehen?“ sagte ich zu meinem Mann. Vermutlich habe ich ihn damit ziemlich verunsichert.

Manchmal rollen die Wehen langsam an, so dass man sich an sie gewöhnen kann, manchmal starten sie aber einfach „von Null auf Hundert“.

Im Liegen konnte ich den Wehen nicht begegnen, also gingen wir ins Badezimmer. Dort begann ich zu tönen. Mein Mann stimmte mit ein, doch irgendwann störte mich alles, jeder Ton und jede Berührung. Ich wollte, ich musste allein da durch. Er konzentrierte sich von da an mehr auf die Stoppuhr, die er bereit gelegt hatte. Ich hatte kein Zeitempfinden mehr und befand mich in meiner Wehenwellenwelt.
Ganz unerwartet entleerte sich mein Körper nach unten und oben. Für einen Moment trauerte ich dem arbeitsintensiven und teuren Bio-Spargel hinterher, den wir uns zum Abendessen gegönnt hatten und der nun langsam das Waschbecken hinunter floss. Doch mit der nächsten Wehe war ich wieder in meiner Welt.

Es wird heftig – bei SSW 38+0

Gegen ein Uhr veränderte sich mein Tönen unwillkürlich in einen kehligen Laut, durchaus hörbar für meinen Mann. Er rief die Hebamme an, die sich dies am Telefon anhörte und danach sofort zu uns fuhr. Eine kurze Untersuchung – „Ah, wie soll ich mich hinlegen? Mein Körper sagt mir etwas anderes!“ Aber es ging in einer Wehenpause dann doch.

Nach der Untersuchung sagte mir die Hebamme, dass der Muttermund schon vollständig eröffnet sei. Nun wollten wir uns, wie besprochen, zusammen in den Hebammenkreißsaal begeben. Die Kliniktasche war gepackt und stand bereit.
Ich stieg in das Hebammenauto ein und mein Mann fuhr mit unserem Auto hinterher. Es war eine schöne Fahrt durch den Wald, bis auf die Tatsache, dass ich nicht pressen durfte, denn die Hebamme wollte nicht, dass das Kindchen in ihrem Auto auf die Welt kommt. Mich beschäftigte wie man etwas unterlassen soll, wenn man etwas nicht willentlich steuern kann?

Genau, geht nicht! Oder zumindest nicht lange. 

Auf dem Klinikgelände angekommen, nahm ich als erstes die großen Bäume und die kühle Luft der lauen Sommernacht im Frühling wahr. Wie schön die Welt sein kann!

Hebammengeleiteter Kreißsaal

Der Weg in den Kreißsaal jedoch, erschien mir unendlich. Ein paar Stufen, helle Empfangshalle, Aufzug – was ist, wenn er stecken bleibt? Ach ja, meine Hebamme ist zum Glück dabei! – ein langer weißer Gang, endlich angekommen.

Die diensthabende Hebamme hatte schon, wie in der Vorbesprechung festgehalten, Wasser in die Gebärwanne eingelassen und begrüßte uns. Die Fachfrauen kannten sich und unterhielten sich kurz. Danach fragte meine Hebamme, ob es in Ordnung wäre, wenn sie dabei bliebe. Natürlich, gerne! Beide beobachteten mich eine Weile. Die Diensthabende bot mir die Wanne und danach unterschiedliche Stellungen an. Nach Wasser war mir im Moment nicht. Auf dem Gebärhocker wusste ich nicht, wie ich mich halten sollte. Im Vierfüßlerstand ging es einigermaßen. Am wohlsten fühlte ich mich in der Hocke, ich musste einfach nur meinem Körper folgen.

Super! Viel ausprobieren ist gut. Meist findet man automatisch die passende Geburtsposition.

Ich spürte die Anwesenheit meines Mannes, auch wenn er nichts tat, war es gut, dass er da war.

Ja! Liebe Partner, ihr seid so wichtig, auch wenn ihr scheinbar „Nichts“ tut! Dabei sein ist wirklich alles – und vergesst Olympia! 😉

Als zwischenzeitlich, bei der Überprüfung der kindlichen Herztöne, kein Signal zu finden war, blickte ich in drei besorgte Gesichter. Ich blieb seltsamerweise ruhig, denn ich war mir sicher, dass mein Kind lebt.

Du warst ganz bei Dir und vertieft in die Wehenarbeit. Es ist gut, wenn man alles ausblenden kann und einfach Vertrauen in sich, seinen Körper und das Geburtsteam hat, das ja genau dazu da ist, auf einen aufzupassen.

Nach der nächsten Wehe war das Signal wieder da. Jetzt bot mir die Diensthabende noch mal an, in die Gebärwanne zu steigen. Ich gab meine Zustimmung und kletterte mit ihrer Hilfe rein. Das Wasser war mir jedoch viel zu warm. „Kälter, kälter, bitte kälter!“ rief ich. Bis sie meinte, dass es nicht kälter ginge, weil es sonst fürs Baby beim Austritt zu kalt werden würde.

Durch Kältereize wird nach der Geburt der Atemreflex beim Kind stimuliert. Aber bei einer Wassergeburt soll das Baby ja nicht schon unter Wasser los atmen, sondern erst „an Land“.

Nach einiger Zeit des Ankommens im Wasser wurde ich ungeduldig und wollte endlich mein Kind haben. Also presste ich mit vollem Körpereinsatz – Endspurt sozusagen. In den Wehenpausen bekam ich Wadenkrämpfe und wurde von den beiden Hebammen massiert. Eine rechts, eine links wie bei einem sportlichen Ereignis.

Geschafft

Am Ende ging alles tatsächlich superschnell. Um 3:28 Uhr war es geschafft, ein kleiner Junge glitt ins Wasser: „Unglaublich, da bist Du!“
Sie legten mir dieses winzige Wesen auf die Brust. Ich habe nichts gedacht. Mein Körper war zittrig vor Anstrengung, aber ich ruhte in mir. Glückseligkeit ist vielleicht ein passendes Wort.

Dann musste ich noch ein wenig an der Nachgeburt arbeiten. Als diese geboren und für vollständig erklärt wurde, beglückwünschten uns die beiden Hebammen.

Ja, da sind die meisten von uns abergläubisch. Gratuliert wird erst, wenn die Geburt beendet ist. Und das ist sie, wenn auch die Plazenta vollständig da ist. 😉

Danach fuhr meine Hebamme nach Hause. Der Scheidenriss ersten Grades musste noch genäht werden. In dieser Zeit lernten sich Vater und Sohn kennen. Mein Mann war erst unsicher wie er das Neugeborene halten sollte – ein Menschlein ohne Körperspannung, so zart und zerbrechlich wirkend. Wir genossen es, in Stille unser Kind kennenzulernen, es zu betrachten und zu liebkosen.

Auf dem Gynstuhl fiel mir ein, dass wir ja noch zwei Karten für die Oper hatten. Darüber konnte sich dann die diensthabende Hebamme mit ihrem Mann freuen. Wir hatten nur noch Augen für unser zahnloses Wunder.

Vielen Dank liebe Laura, für Deinen schönen Bericht und vor allem für das tolle Wort: „Wehenwellenwelt“, das ich ab sofort in meinen Wortschatz aufnehmen werde!

(*Name auf Wunsch geändert)

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

Mehr über mich →

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse mir deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert