Mehr Küsse unter der Geburt!

Küsse haben viele Bedeutungen: Ein Kuss kann für Leidenschaft, Liebe, einfach nur Freundschaft, oder, im Falle des Mafia-Kusses, sogar für Hass stehen. Es gibt den Erweckungskuss in Märchen, den Bruderkuss als Zeichen der Ehrerbietung, z.B. unter Staatsmännern, den Kuss, der die Ehe besiegelt, den demütigen Ring- oder Handkuss, das Küsschen zur Begrüßung, den zärtlichen oder auch leidenschaftlichen Kuss als Teil sexueller Liebe, den Luftkuss, Zungenkuss, Schmatzer, Schmetterlingskuss, Abschiedskuss …
Die Wirkungsweisen von Küssen sind dabei genau so unterschiedlich, wie die Kussarten und Bezeichnungen an sich. Mir geht es hier vor allem um die zärtlichen, sinnlichen und leidenschaftlichen Küsse. Diese haben, neben der großen Symbolik, den wunderbaren „Vorteil“, dass sie nicht einfach nur schöne Gefühle hervorrufen, sondern mit einer ordentlichen Portion Hormonausschüttung daher kommen. Und das kann unter der Geburt tatsächlich sehr hilfreich sein.

Der Hormon-Mix macht’s

Hormone dienen einerseits als Botenstoffe für die Kommunikation zwischen den Zellen und Organen des Körpers, aber sie beeinflussen andererseits eben auch sehr stark das menschliche Empfinden. So wird, bei einem äußerst liebevollen Kuss, vor allem das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Es ist das Liebes- oder auch Bindungshormon schlechthin, denn Oxytocin verursacht ein Gefühl von Liebe, Vertrauen und Lust. Darauf folgt dann ein Endorphin-Schub, der Schmerzen hemmt, das Wohlbefinden steigert, entspannt und regelrechte Glücksgefühle hervorruft. Und dann kommt der geniale Dopamin-Flash: Er wirkt wie eine körpereigene Droge und erzeugt ein ordentliches „High-Gefühl“. Darüber hinaus gibt es natürlich noch viel mehr hormonelle Mitspieler. Aber das genauer zu beschreiben, würde etwas zu weit führen.

Geburtshormone

Wenn die Geburt beginnt, dann schüttet der Körper einen Mix aus Oxytocin, Prostaglandinen, Adrenalin und Endorphin aus. (Auch hier beschränke ich mich nur auf die relevante Kurzfassung.) Dabei versetzen die Stress-Hormone Adrenalin und Noradrenalin den Körper in Alarmbereitschaft. Oxytocin ist für die Entstehung, Häufigkeit und Dauer der Wehen zuständig. Prostaglandine machen den Muttermund weich und öffnen ihn. Und Endorphine werden immer dann ausgeschüttet, wenn der Körper rhythmisch arbeitet. Das kennen viele von euch vielleicht vom Joggen: Irgendwann lässt die Anstrengung nach – es entsteht eine Art Glücksgefühl.
Und wenn all diese Stoffe im richtigen Gleichgewicht sind, dann steht einem regelrechten Geburtsverlauf auch eigentlich nichts mehr im Wege.

Oxytocin – so flüchtig wie ein scheues Tier

Das griechische Wort Oxytocin bedeutet „schnelle Geburt“. Aber leider verhält es sich damit ein bisschen, wie mit einem scheuen Tier: In ruhiger, geborgener Atmosphäre kann es sich entfalten und bleibt erhalten. Tauchen allerdings Stressoren und Störer auf, dann zieht es sich zurück.
Denn genau wie beim Sex, wo Störungen ebenfalls schnell zum Lust-Verlust führen, verschwinden die eben noch wunderbar regelmäßigen Wehen unter der Geburt genau in dem Moment, wo Geborgenheit und Vertrauen plötzlich fehlen. Schon ein einzelner, unachtsam formulierter Satz eines Geburtsbegleiters kann ausreichen, um das ganze Hormon-Kartenhaus in sich zusammen stürzen zu lassen. Kommen die Wehen dennoch weiter, sind sie oft nur noch schmerzhaft und zu allem Überfluss meist unwirksam. Der ganze, schöne Geburtsverlauf ist dann gestört und es geht nicht mehr voran.
Die Folge: An Stelle der schmerzstillenden Endorphine werden deutlich mehr Stresshormone ausgeschüttet, was wiederum zu entsprechender Anspannung führt. Die Wehen werden noch schmerzhafter wahrgenommen – das führt zu noch mehr Verspannungen und Angst – ein circulus vitiosus.

Die Rettung: Rückzugs-Küsse

Was kann man also tun? Am besten ist es natürlich, den geborgenen Zustand wieder herzustellen. Konkret könnte das heißen: Wenn du dich unter der Geburt in so einem ungünstigen Teufelskreis wiederfindest und das Geburtsteam vielleicht sogar schon vom „Wehentropf“ redet, dann bitte dir eine Bedenkzeit aus und zieh dich mit deinem Partner an einen geborgeneren Ort (Stationszimmer, Garten, Aufenthaltsraum,…) zurück. Allein das kann schon helfen. Und vielleicht habt ihr dann dort sogar Lust, euch ein bisschen zu küssen.

Auf die Welt geküsst

Natürlich ist es nicht für Jede(n) etwas, unter der Geburt zu knutschen. Aber wenn ihr euch das irgendwie vorstellen könnt, dann probiert es doch einfach mal aus. Denn neben der Oxytocin-Ausschüttung, die die Wehentätigkeit wieder schön ankurbelt, bewirken die zärtlichen Küsse, das Streicheln und allein schon der Hautkontakt ein „weich-und-weit-werden“ des Beckenbodens. Das begünstigt sowohl die Öffnung des Muttermundes, als auch das Tiefertreten des Babys im Geburtskanal.
Der etwas flapsige Spruch vom Kabarettisten Hans Werner Olm:

Küssen ist, wenn oben einer klingelt und unten einer aufmacht.

ist zwar eher im sexuellen Kontext gemeint, funktioniert aber im Zusammenhang mit der Geburt ziemlich gut. Und wäre es nicht schön, dem Kind später zu erzählen, ihr habt es auf die Welt geküsst?

Zusatztipp

Und noch etwas aus der Rubrik „Was kann eigentlich der Partner während der Geburt tun?“: Eine Brustwarzenstimulation hat die selbe, und teilweise eine sogar noch stärkere Wirkung. Solltet ihr dafür also genügend Privatsphäre und die nötige Experimentierlust haben… nur zu!

Das Geheimnis einer schönen Geburt

Diese und viele weitere Tipps für eine schöne Geburt gibt es bald ab jetzt in meinem eBook „Das Geheimnis einer schönen Geburt“. Ich bin fast nun fertig damit, aber das hier, musste ich euch heute einfach schon mal vorab zeigen. Vielleicht weil hier grad die Sonne so schön scheint und mich an Küsse denken lässt? Muss wohl am Frühling liegen…

Kuss-Geschichten?

Wie sieht’s denn bei euch so mit dem Küssen aus? Könnt ihr euch Küsse unter der Geburt gut vorstellen? Oder habt ihr damit sogar schon eigene Erfahrungen gemacht? Ich wär gespannt!

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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11 Kommentare
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    Dominik sagte:

    Puh, ich glaube, meine Frau hätte mit Küssen unter der Geburt nichts anfangen können. Ich wurde von ihr sogar weggepfiffen, als ich mich – kurz vor der Austreibungsphase – mal neben sie setzen wollte, um sie wenigstens diese Nähe spüren zu lassen. Den größten Teil der Geburt habe ich dann verschüchtert in der Ecke sitzend verbracht. 🙂 Am Ende, als sie in der Wanne saß, durfte ich dann ihre Hand halten, war also wieder gebraucht, was mir viel bedeutet hat. Aber Küssen? Wohl nicht unser Ding unter der Geburt.

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    Schokodiva sagte:

    Ich habe am vergangenen Sonntag unser zweites Kind zur Welt gebracht und mein Mann war bei beiden Geburten dabei. Bei der ersten Geburt habe ich eine PDA bekommen und kam mir ein wenig hilflos vor, da kann ich mir vorstellen, dass ich mehr zärtliche Küsse gebraucht hätte um auch meine Stimmung “aufzuhellen”. Aber bei der letzten Geburt ohne PDA und in einem Zeitraum von 4 Stunden empfand ich küsse von ihm in mein Gesicht unschön. Er stand auch hinter mir und streichelte mich aber das war in Ordnung. Nur Küssen auf den Mund oder ins Gesicht war für mich unschön.

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    kiddelfee sagte:

    Mein Mann hat mir immer mal den Handrücken geküsst unter der Geburt. Nach herzhaften feuchten Bussis war mir überhaupt nicht 😀

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    Ross sagte:

    Meine Frau war da ähnlich. Sie wollte ab und zu mal ein kleines Bussi, aber ansonsten war sie glaube ich einfach zu sehr unter Schmerzen und auf das Baby und sich selbst fokussiert, als dass sie geküsst werden hätte wollen. Da ist sicher aber jede Frau anders und das muss man auch so akzeptieren.

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    Babsi sagte:

    Ein sehr interessanter Beitrag! Es ist ja allgemein bekannt, dass Küsse oder andere Zuwendungen die Schmerzen lindern können. Gerade bei einer Geburt ist es aber denke ich am wichtigsten, dass man die Hand gehalten bekommt. So war es zumindest bei mir.

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    Kristin sagte:

    Ein super Beitrag! Es ist schon “frech”, aber hochinteressant, was sich Mutter Natur für den weiblichen Körper ausgedacht hat. Aber es ist, wie es ist und wer es begriffen hat, für den ist Geburt eine Facette der eigenen Sexualität. Es wirken die gleichen Hormone und es finden Ejektionsreflexe statt. Zudem ist das Sperma des Mannes der Prostaglandinspender schlechthin. Die einfachste Möglichkeit dieses zum Muttermund zu befördern ist Sex. Wer es zudem schafft unter der Geburt einen Orgasmus zu haben, der erreicht damit die maximal mögliche Entspannung. Und was anderes ist die Geburt als eine Körperfunktion, die maximale Entspannung erfordert. Wer den Mund beim Küssen unter den Wehen öffnet, entspannt instinktiv den Beckenboden und der Muttermund öffnet sich. Bei den Wehen mit offenem Mund zu stöhnen, hilft auch sehr gut den Beckenboden zu entspannen. Wer sich bei schwächer werdenden Wehen vom geliebten Partner an den Brüsten saugen lässt, hat erstens wieder mehr Spass und Ablenkung von der Angst und zweitens wird Oxytocin ausgeschüttet, was die Wehen wieder ankurbelt. Wer diese Zusammenhänge nicht begreifen will und in diesen Prozess eingreifen und Hinz und Kunz an der Geburt beteiligt sein lässt, für den kann das neben einer schmerzhaften Geburt eine Störung der eigenen Sexualität zur Folge haben. Das hat nicht nur Jana Friedrich erkannt, sondern schon Ina May Gaskin und Michel Odent. Ich wünschte mir, diese Erkenntnis würde auch bei den vielen Schwangeren und ihren Partnern ankommen. In meiner Tätigkeit als Geburtsvorbereiterin und Doula mache ich immer als allererstes darauf aufmerksam. Falls euch das im Kreißsaal unangenehm ist, dann zieht euch doch unter dem Vorwand eines Toilettenganges aufs Klo zurück. Das ist wohl der intimste Ort neben dem eigenen Schlafzimmer bei dem frau und man sich ungestört zurückziehen können.
    Traut euch! Ihr habt euer Kind in leidenschaftlicher Liebe gezeugt, dann dürft ihr es auch in leidenschaftlicher Liebe empfangen!

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    mom sagte:

    Neeeeee, für mich persönlich eher nicht. Wir waren zwar in einer kleinen, kuscheligen Klinik, aber die Atmosphäre war doch durchaus nicht erotikfördernd, und dann wollte ich gar nicht so gerne angefasst werden, Küsse hätte ich da keine kriegen mögen.

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    Mareike sagte:

    Juhu, endlich schreibt das mal jemand! Danke, Jana!
    Ich habe mein Kind im Geburtshaus geboren und wir haben praktisch während der gesamten Geburt ständig geknutscht. *g* Es war wunderbar und ich hatte sicherlich den Hormonrausch meines Lebens! 😀 Die Wehen waren zwar intensiv und erforderten meine Konzentration, aber schmerzhaft fand ich sie gar nicht. Zwischen den Wehen war ich vollständig entspannt, ließ mich von meinem Freund umarmen, streicheln und massieren. Wir haben gelacht und geredet… und uns immer wieder geküsst.
    Ich denke damit das funktioniert, muss es aber auch zum Paar passen. Wer sich sonst selten küsst (was ja nicht zwangsläufig zu einer schönen Partnerschaft gehören muss), wird wohl nicht unter der Geburt damit anfangen wollen. Oder wer die Hebamme nicht so gut kennt. Andererseits muss man sich in Gegenwart dieser Hebamme eh “öffnen”, dafür ist Vor-ihren-Augen-rumknutschen vielleicht ein guter Anfang… 😀

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    • Avatar
      Jana Friedrich sagte:

      Hey toll, dass sich mal jemand meldet, der das so erfahren hat. Ich habe das schon ein paar Mal erlebt. Aber es traut sich sicher auch nicht jede(r), darüber zu reden. Und : Ja!, es muss zu einem passen.
      Danke für deinen Beitrag & liebe Grüße
      Jana

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  1. […] Körper Auswirkungen hat. Es wird zum Beispiel beim Orgasmus ausgeschüttet, oder bei der Geburt. (Fun fact: Da Oxytocin die Geburt erleichtert, ist es für die Frau hilfreich, wenn ihr Mann sie […]

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