„Meine Wunschgeburt“ nach Kaiserschnitt – Buchvorstellung und Interview

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Weltweit steigen die Sectioraten. Auch in Deutschland lagen sie bereits 2010 bei 31,9%. Tendenz steigend. 1993 waren es noch 17%. Innerhalb der Jahre, die zwischen diesen beiden Zahlen liegen, hat sich aber die Anzahl der Kinder, die in einem kritischen Zustand zur Welt kommen nicht verändert. Wie kommt es also, dass der Kaiserschnitt die natürliche Geburt immer weiter verdrängt? Welche Gründe, medizinisch oder nichtmedizinisch, führen zu dieser drastischen Zunahme?

Diese Fragen stehen am Anfang des Buches „Meine Wunschgeburt“. Die Autorinnen haben eigene Erfahrungen mit dem Bauchschnitt gemacht und beide brachten, nach jeweils zwei Kaiserschnitten, ihre dritten Kinder spontan zur Welt. Mit der Medizinerin und freien Autorin Ute Taschner habe ich über ihr Buchbaby „Meine Wunschgeburt – selbstbestimmt gebären nach Kaiserschnitt.“ gesprochen.*

Interview mit Ute Taschner

Autorin des Buchs Wunschgeburt: Ute Taschner

Jana: Ute, das Buch entstand aus der Einsicht heraus, dass es im deutschsprachigen Raum kein geeignetes Werk gab, das Frauen mit vorausgegangenem Kaiserschnitt eine Orientierung für die nächste Geburt gegeben hätte. Warum hattest du das Gefühl, „Sectiofrauen“ müssen sich anders auf eine erneute Geburt vorbereiten?

Ute: 3 von 4 Müttern in Deutschland, die einen Kaiserschnitt hatten, erleben bei der nächsten Geburt einen erneuten Kaiserschnitt. Diese so genannte Re-Sectio-Rate ist im europäischen Vergleich sehr hoch. Unnötig hoch, denn: Bei der Entscheidung zum wiederholten Kaiserschnitt spielt vor allem die Angst vor Komplikationen bei Müttern und Ärzten eine Rolle.
Mit dem Wissen, wie selten die meisten Komplikationen tatsächlich eintreten und wie man günstige Voraussetzungen für die nächste Geburt schafft, könnten sehr viel mehr Mütter ihr nächstes Kind auf natürlichem Weg zur Welt bringen. Dieses Wissen, ermutigende Geburtsgeschichten und hilfreiche Tipps zur Planung einer Geburt nach Kaiserschnitt vermittelt unser Buch.

 

Jana: Was ist für dich das wichtigste Element des Buches?

Ute: Wir haben bei der Recherche zu diesem Buch unsere eigenen Geschichten analysiert, aber auch unzählige Geburtsberichte anderer Mütter gelesen. Deshalb würde ich sagen, dass alle Elemente ihre Berechtigung haben. Für mich persönlich war und ist die mentale Vorbereitung der Schlüssel zu einer guten Geburt. Denn, was hilft mir mein Wissen, wenn ich nicht an mich selbst und meinen Körper glauben kann?

 

Jana: Viele Frauen fühlen sich nach einem Kaiserschnitt schuldig, oder als nicht vollwertige Mütter (was natürlich totaler Quatsch ist). Was ist deine Botschaft an sie?

Ute: Verläuft eine Geburt nicht wie erwartet oder erhofft, ist es normal, darüber traurig oder enttäuscht zu sein. Das ging mir selbst auch so.
Jede Mutter hat bei der Geburt ihres Kindes oder ihrer Kinder eine respektvolle und achtsame Begleitung verdient. Endet die Geburt in einem Kaiserschnitt, so war dieser entweder medizinisch notwendig oder er ist aus meiner Sicht das Resultat einer unzureichenden Begleitung der Mutter während der Schwangerschaft oder während der Geburt. In beiden Fällen trifft die Mutter keine Schuld.
Dass der Geburtsmodus dafür entscheidend sein soll, ob man eine vollwertige Mutter ist oder nicht, kann ich nicht nachvollziehen. Ich kann aber gut verstehen, wenn Kaiserschnittmütter bedauern, dass ihnen die Geburtserfahrung fehlt.

 

Jana: Oft sagt man ja, eine spätere Spontangeburt heilt auch ein bisschen die seelischen Wunden des vorausgegangenen Kaiserschnitts. Warum denkst du, ist das so?

Ute: Das wird zwar häufig gesagt, aber ich habe gemerkt, dass diese Aussage leider nicht immer zutrifft. Verlief der erste Kaiserschnitt wirklich traumatisch, können die seelischen Wunden später nicht durch ein schönes Ereignis „geheilt“ oder zugedeckt werden. Gerade in diesen Fällen ist es wichtig, das Geschehen zu verarbeiten und nicht darauf zu hoffen, dass die nächste Geburt schon die Heilung bringen wird.
Andererseits kann eine spätere natürliche Geburt tröstlich sein, wenn der erste Kaiserschnitt beispielsweise aus medizinischen Gründen notwendig gewesen ist oder es durch einen Geburtsstillstand zum Kaiserschnitt kam. Dadurch bleibt bei manchen Frauen der Gedanke zurück, ihr Körper sei nicht dazu in der Lage, ein Kind zu gebären. Und wenn es dann beim nächsten Kind tatsächlich klappt, hat das sicherlich etwas heilsames.

 

Jana: Eine Frau, die ihr für das Buch interviewt habt, sagt: „Dieser dritte Kaiserschnitt hat mich endlich entschädigt“. Wie erklärst du das?

Ute: Diese Mutter wurde in die Entscheidungen zu den ersten beiden Kaiserschnitten nicht einbezogen. Es geschah über ihren Kopf hinweg. Beim dritten Kind erfolgte der Kaiserschnitt nach Absprache mit den Ärzten und man hätte ihr auch die Möglichkeit eingeräumt, es auf natürlichem Weg zu versuchen. Nach gemeinsamer Abwägung der Risiken kamen aber alle Beteiligten zu dem Schluss, dass ein dritter Kaiserschnitt der bessere Weg für diese Mutter wäre. Dass sie an der Entscheidung beteiligt war und sie sich im Vorfeld auf die Operation einstellen konnte, die dann auch sehr schön und harmonisch ablief, empfand sie als „Entschädigung“.

 

Jana: Das Buch ist ja nicht nur ein nüchterner Ratgeber, es enthält Vorlagen für die Geburtsplanung, Platz für eine Art Schwangerschaftstagebuch, eine „Reifungsspirale“ zum ausmalen und gestalten, positive Glaubenssätze und einiges mehr. Warum war das für euch so wichtig?

Ute: Wir Autorinnen haben uns beim Schreiben des Buches gefragt, was eine gute Geburt ausmacht. Warum erleben einige Frauen nach dem ersten oder sogar dem zweiten Kaiserschnitt eine natürliche Geburt und andere Frauen nicht?
Natürlich spielen dabei medizinische Gründe eine wichtige Rolle und es kann, egal, wie man sich vorbereitet, immer zu unerwarteten Wendungen kommen. Doch ist es aus unserer Sicht für die Geburt wichtig, sich selbst und seinen Körper gut zu kennen. Ich kann mich leichter auf die Geburt einlassen, wenn ich genau spüre, was in meinem Körper passiert. Dadurch bin ich in der Lage seine Zeichen zu interpretieren und zu erkennen was mir gerade gut tut und was ich brauche. Das ist einerseits ein wichtiger Sicherheitsfaktor gerade bei einer Geburt nach Kaiserschnitt und andererseits allgemein eine gute Voraussetzung.
Mit den Seiten, die zur Selbstbeobachtung einladen und mit der Anleitung, positive Glaubenssätze zu entwickeln, möchten wir Mütter anregen, sich selbst besser kennen zu lernen und ihre Wünsche und Vorstellungen mitzuteilen.

 

Jana: Du bist Medizinerin (zwar keine Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, aber dennoch…) und sagst selbst, es ist dir gelungen, einen Denkprozess fernab der Schulmedizin in Gang zu setzen. Wie? Was hat diese andere Sichtweise bewirkt?

Ute: Als Ärztin sehe ich die Berechtigung der Schulmedizin. Die Frage, die ich mir allerdings auf Grund meiner eigenen Erfahrungen gestellt habe, ist eher die, wieviel Schulmedizin oder Geburtsmedizin eine unkomplizierte Geburt braucht.
Bis vor einigen Jahren habe ich selbst geglaubt, dass eine Frau nicht in der Lage ist, ohne Unterstützung durch Ärzte oder zumindest einer Hebamme, ein Kind zu gebären.
Doch als ich begann, mich mit den Gründen für meine Kaiserschnitte auseinander zu setzen, veränderte dies meine Einstellung zur Geburt.
Schließlich ist das Gebären ja ein durch und durch physiologischer Vorgang. Wenn man das zu Ende denkt und sich vergegenwärtigt, welche Hormone eine Rolle spielen und welche Rolle die Psyche spielt, kann man zu dem Schluss kommen, dass die heutige klinische Geburtshilfe dabei manchmal kontraproduktiv ist. Es geht bei der Begleitung einer Geburt nämlich in erster Linie darum, diesen physiologischen Vorgang nicht zu stören, aber im Notfall bereit zu stehen, falls etwas nicht so klappt, wie erwartet. Das muss aber aus meiner Sicht nicht bedeuten, dass die Geburt in einer hochtechnisierten Klinik stattfinden muss, sondern genau an dem Ort, wo eine Frau sich sicher fühlt und loslassen kann. Die klinische Geburtshilfe ist leider oftmals durch Routineeingriffe in den Geburtsverlauf geprägt. Viele davon sind nicht Evidenz basiert und haben durchaus auch Risiken und können Interventionskaskaden in Gang setzen. Medizinische Eingriffe dürften deshalb nur eingesetzt werden, wenn der erwartbare Nutzen höher wiegt, als etwaige Nebenwirkungen.
Ich denke also, nicht die Schulmedizin ist das Problem, sondern wie Geburtshilfe heute in vielen Kliniken praktiziert wird.

 

Jana: Hast du, mit deiner Vorgeschichte, Verständnis für eine Frau, die sich (ohne besonderen Grund) einen Kaiserschnitt wünscht? Was würdest du ihr sagen?

Ute: Ich trete für das Recht einer jeden Frau ein, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchte. Ich würde mich ja schließlich auch aufregen, wenn ich gegen meinen Willen zu einem Kaiserschnitt gezwungen werden würde.
Untersuchungen zum Wunschkaiserschnitt haben ergeben, dass die meisten Frauen, die sich einen Kaiserschnitt wünschen, Angst vor einer natürlichen Geburt haben und insbesondere davor, ihre Integrität zu verlieren. Das hat aus meiner Sicht auch ganz viel mit dem Bild von interventionsreichen Klinikgeburten zu tun, dass viele Frauen beim Gedanken an eine Geburt vor Augen haben.
Ich würde eine Wunschkaiserschnitt Mutter deshalb gerne fragen, wie sie sich ihre absolute Traumgeburt vorstellen würde, wenn sie die freie Wahl hätte. Vielleicht könnte sie sich eine Geburt zu Hause oder im Geburtshaus besser vorstellen, als eine Klinikgeburt. Ich bin mir aber sicher, dass bei manchen Müttern dieser Wunsch schon so lange ein fester Bestandteil ihres Bildes einer selbstbestimmten Geburt ist, dass sie sich nichts anderes vorstellen können.

 

Jana: Besonders gut haben mir die vielen, sehr unterschiedlichen Geburtsberichte im Buch gefallen. Manche sind allerdings auch sehr dramatisch. Könnten sie nicht auch Bedenken schüren? Was ist dein Rat gegen Ängste?

Ute: Wir haben lange darüber diskutiert, ob wir auch Berichte mit Komplikationen in unser Buch aufnehmen wollen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, weil man aus den Berichten über Komplikationen auch etwas lernen kann. Außerdem ist es nun einmal die Realität, dass bei Geburten nicht immer alles gut ausgeht.
Die Frage nach den Ängsten ist ganz wichtig. Schließlich kommt es ja gerade deshalb so oft zum Kaiserschnitt. Meine Tipps dazu sind:

  • Es ist wichtig, sich während der Schwangerschaft ein Team zu suchen, dass einen bestärkt und nicht eigene Ängste überträgt.
  • Es hilft, Ängste wahrzunehmen und darüber zu sprechen. Wovor genau habe ich Angst?
  • Man kann jede einzelne Angst in Ruhe betrachten. Manchmal hilft es, sich anzusehen, ob das Szenario, vor dem man Angst hat, sehr selten ist. Das kann häufig zur Beruhigung beitragen. Im nächsten Schritt kann man sich gemeinsam mit Hebamme oder Arzt überlegen, was man im Fall der Fälle tun kann und welchen Handlungsspielraum es gibt. Das gibt einem oft schon viel mehr Sicherheit.

Jana: Liebe Ute, ich danke dir für das Interview.

Ich finde es unglaublich spannend zu sehen, wie verschiedene Menschen, die sich – aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus – mit dem Thema „Geburt“ beschäftigen, zu den selben Schlüssen kommen. Ob Ute Taschner & Kathrin Scheck mit Meine Wunschgeburt, Nora Imlau mit Das Geburtsbuch oder ich mit Das Geheimnis einer schönen Geburt – um nur einige zu nennen – immer heißt es: Suche dir Verbündete und Unterstützer, beschäftige dich mit deinen Ängsten und suche dir mentale Anker. Das klingt jetzt vielleicht etwas pauschal, denn natürlich gibt es noch viel, viel mehr dazu zu sagen, aber der Tenor ist doch immer sehr gleich. Und das finde ich großartig, denn es zeigt mir, dass wir alle auf dem richtigen Weg sind! Und ich hoffe, dass wir alle gemeinsam diesen Weg noch weiter ausbauen und festigen werden, damit ihn Frauen in Zukunft wieder leichter beschreiten können: den Weg der Selbstbestimmung, den Weg zu einer Geburt, die unsere Lebensläufe bereichert, ohne Angstmache und ohne ein rigides Regelwerk, das beachtet werden will, ohne dabei das Individuum zu sehen.

Daher freue ich mich über dieses spezielle Kaiserschnitt-Buch und lege es euch sehr ans Herz. Vor allem natürlich, wenn ihr euch nach einem vorausgegangenen Kaiserschnitt eine spontane Geburt wünscht. Der dazu passende Geburtsbericht hier im Blog heißt: “Geburtsbericht: Spontangeburt nach zweifachem Kaiserschnitt“.
Aber auch für Erstlingsmütter kann es spannend sein zu sehen, in welche Fallen man tappen und wie man sie vermeiden kann.

Erschienen ist das Buch „Meine Wunschgeburt – selbstbestimmt gebären nach Kaiserschnitt“ im Verlag edition riedenburg und kostet 24,90 €.

Blog-Leser-Meinung

Du hast das Buch schon gelesen? Wie hat es dir gefallen? Welche weiteren geburtsvorbereitenden Bücher waren dir bei deiner Geburt vielleicht schon eine Hilfe?

 

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Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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3 Kommentare
  1. Avatar
    Julia sagte:

    Liebe Jana,
    wie schön, dass Du das Buch hier vorgestellt hast. Ich kann es selbst sehr empfehlen. Ich hatte es mir nach der Geburt meines ersten Sohnes gekauft, der durch eine sekundäre Sectio zur Welt kam. Mein zweiter Sohn ist mit 19 Monaten Abstand spontan geboren, ein VBAC-Baby!
    Danke für Deine schönen Texte.
    Liebe Grüße Julia

    Antworten
  2. Avatar
    Birgit sagte:

    Liebe Jana,
    ich werde mir dann wohl auch das Buch besorgen. Mein erstes Kind war eine klinisch notwendiger Kaiserschnitt. Zumindest vertrat der sehr vertrauenswürdige Chefarzt und sein Team diese Meinung. Und sie haben uns auch anderthalb Tage Zeit gelassen mit meinen Wehen.
    Beim zweiten Kind nehme ich nun vorsorglich 100mg Acetylsalycylsäure um einer Plazentainsuffizienz vorzubeugen und möchte jetzt “endlich” eine richtige Geburt. Auch wenn ich genau ein Jahr nach der Geburt nochmal mit dem Arzt gesprochen habe, und er mich liebevoll-pragmatischmit einem Tragetier verglich (selbst Kühe haben manchmal Kaiserschnitte) fühlte ich mich doch trotzdem traurig und irgendwie so, als ob ich versagt hätte. Er bekräftigte mich aber, beim nächsten Mal auf jeden Fall eine normale/spontane Geburt zu wollen.
    Vielleicht bin ich mit dem Buch noch zuversichtlicher? Und mache diesemal die DAmmmassagen dann nicht umsonst!

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  1. Eine Vorsorge die wütend macht · .:Helden-Familie:. sagt:

    […] Quellen gewälzt, die sich mit der Thematik befassen. Letzte Woche bin ich Dank Twitter auf das Interview mit Ute Taschner gestoßen und habe mir direkt im Anschluss das Buch „Meine Wunschgeburt*“ bestellt, […]

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